Hessisches Landesinstitut für Pädagogik (HeLP)Globales Lernen / Eine Welt |
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Indien als Thema im Unterricht
Indien galt in der politischen Bildung lange als eines der wichtigen Beispielländer wenn es um Entwicklung, politische Systeme oder fremde Kulturen gehen sollte. Besonders die Schulbücher für den Erdkundeunterricht waren undenkbar ohne ein Kapitel, das Indien in den Mittelpunkt stellte. Indien als parlamentarische Demokratie - China als kommunistische Diktatur "im Vergleich" oder die besondere Rolle westlicher Entwicklungsshilfe (z.B. in Rourkela oder die "Grüne Revolution"/Sicherung der Nahrung durch neue Getreidesorten) waren geradezu Paradebeispiele für exemplarisches Lernen. Diese Themen sind in den Schulbüchern weitgehend an den Rand getreten.
Indien wird in der Schule gegenwärtig eher im Zusammenhang mit Fragen
der Bevölkerungsentwicklung (-oft "indische Wege" in Kontrast zu den
harten Maßnahmen Chinas), Kinderarbeit (in letzter Zeit besonders
auch im Zusammenhang mit dem "Global March" und der "Rugmark - Initiative")
, der Rolle von Frauen (verstärkt in Verbindung mit der Frage der
Bevölkerungsentwicklung) zum Unterrichtsthema. Im Sozialkunde- und
Religionsunterricht spielt Gandhis Weg der Gewaltlosigkeit durchaus eine
Rolle, ebenso wie das steigende Interesse an den östlichen Weltreligionen
- z.B. im Boom der Arbeit mit "Mandalas", die in vielen Klassen als Weg
zu Konzentration und manchmal auch zu Meditation von vielen LehrerInnen
genutzt werden - wenn auch der Bezug zu den Kulturen Asiens oft dabei überhaupt
nicht zur Sprache gebracht wird. Ähnliches gilt für die vielen
Programme, die z.B. Yoga in die Schulen zu bringen versuchen.
Trotz dieser vielfältigen Bemühungen braucht der Umgang mit
Indien im Unterricht aber vielleicht doch einige neue Impulse, teilweise
auch Korrekturen.
Gängige Zugänge kritisch reflektieren
Beispiel1"Exemplarisch arbeiten" ist besonders beim Beispiel Indien problematisch"Alles, was man über Indien sagt, stimmt. Unglücklicherweise stimmt auch das Gegenteil. Indien ist, so Rabindranath Thakur (Tagore) eine Einheit der Verschiedenheit ("Unity in Diversity"). Da Indien groß (etwa zehnmal so groß wie das vereinigte Deutschland) ist, sind auch die Unterschiede sehr groß. In einem anderen Zusammenhang habe ich geschrieben, wenn Unterschiede und Gegensätzlichkeiten innerhalb eines Landes das einzige Kriterium für Unterentwicklung eines Staates wäre, dann gibt es vermutlich kaum ein Land auf dieser Erde, das unterentwickelter ist als Indien" so skizziert Asit Datta ( Die Deutschen und ihr Indienbild: in Meine Welt 1/94, S. 18) die Ausgangsposition, die sich auch stellt, wenn es um die Frage geht, wie "Indien" - immerhin eine der zehn größten Industrienationen der Welt - im Unterricht zur Sprache gebracht werden soll."Indien schießt eigene Satelliten ins All, hat einen eigenen schnellen
Brüter entwickelt und verfügt über die besten Computerprogrammierer
der Welt, während vierhundert Millionen Inder nicht lesen und schreiben
können und dreihundert Millionen unter der Armutssgrenze vegetieren.
Hierhin gehört auch:
Beispiel 2Gandhi steht nicht für das gegenwärtige IndienDer Karikaturist illustriert eine Problematik im Umgang mit Gandhi, die in den gängigen Unterrichtsansätzen gar nicht zur Sprache gebracht wird.- Gandhis Persönlichkeit und Wirken wird in den Schulen derzeit
sehr verkürzt. Seine Vorstellungen von einem zukünftigen Indien
kommen selten zur Sprache. Außerdem wird unterschlagen, daß
im heutigen Indien Gandhis Weg eigentlich fast bedeutungslos geworden ist.
Nehru war nicht der nahtlose Erbe Gandhis. Seine Zukunftsvorstellungen
sind in Indien nie ernsthaft angegangen, geschweige denn verwirklicht worden.
"Die Industrialisierungspolitik Nehrus hatte mit der idealen Vision autonomer
Dorfrepubliken Gandhis von Anfang an nichts gemeinsam. Auch bewahrte letzterer
stets eine gesunde Distanz zum Staat, wissend, daß Swaraj (Selbstregierung)
von den Menschen selbst organisiert werden muß ... Spätestens
mit der wirtschaftlichen "Liberalisierung" 1991 hat sich Indien endgültig
von Gandhi verabschiedet" (Asit Datta/Gregor Wojtasik: Gandhi aus der Mottenkiste
in: epd entwicklungspolitik 15/161997 S. 14).
Beispiel 3Hindusismus und KastenwesenWer Hinduismus und Kasten als Leitbild für Indien zum exemplarischen Unterrichtsgegenstanbd macht, sollte daran denken, daß Indien zu den Staaten der Welt gehört, in denen "mehr Moslems leben als in irgendeinem anderen Staat dieser Welt ausgenommen Indonesien" Auch wer das Kastenwesen als eines der zentralen sozialen Probleme zum Unterrichtsgegenstand macht, sollte nicht aus dem Auge verlieren, daß "dieses Problem in den Großstädten, bessonders in den Ober- und Mittelschichtfamielien keine Rolle" spielt. Zu kritisieren ist auch der Ansatz, der im Kastenwesen den Ursprung der Misere Indiens sucht: "Wenn man deutsche Schulbücher ansieht, dann hat man den Eindruck, als ob Indiens Misere nur aus dem Kastenwesen entsprungen sei. Zudem bin ich mittlerweile der Überzeugung, daß jede(r) deutsche Schüler(in) vielmehr über das Unwesen weiß als ich" (Asit Datta, in Indien geboren, der im interdisziplinären Lernbereich "Interkulturelle Bildung und Entwicklung am FBE I der Uni Hannover arbeitet, in einem Aufsatz Die Deutschen und ihr Indienbild: in Meine Welt 1/94, S. 19)Buchtipp: Martin Geisz: Lernzirkel Indien. Buchverlag Kempen. Kempen 2002.
Martin Geisz |
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