Materialien „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ - Globales Lernen



Buchhinweis


Stichworte: Erster Weltkrieg, Diskussion um Kriegsschuldfrage, Globalisierung, Krieg und Frieden










Bibliographische Angaben:

Gietinger, Klaus / Wolf, Winfried:
Der Seelentröster. Wie Christopher Clark d. Deutschen v. d. Schuld am I. Weltkrieg erlöst.
Schmetterling – Verlag. Stuttgart 2017.
ISBN 3-89657-476-0





Zum Buch:










Wer war schuld am I. Weltkrieg? Diese Kriegsschuldfrage haben Historiker immer sehr interessegeleitet beantwortet. Die These vom „Hineinschlittern“ war beliebt – die Verhältnisse waren so, dass der Krieg eben ausbrechen musste, die Bündnisverpflichtungen, die Staaten gegenseitig übernommen hatten führten dann automatisch in den Krieg. … . Anfang der 1960er Jahre arbeitet der Historiker Fritz Fischer dann an Quellen heraus,, dass «die deutsche Reichsführung einen erheblichen Teil der historischen Verantwortung für den Ausbruch des allgemeinen Krieges» trug. Dies wurde von der Geschichtswissenschaft weitgehend akzeptiert.

Einen neuen Akzent „zurück zur alten These, die Kriegsschuld verneint“ setzte Christopher Clark mit seinem Buch „die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“ ( London 2012, München 2013)1. Er wärmte die alte These auf und sprach von „Schlafwandlern“, die 1914 in Berlin, Wien, Paris, London und St. Petersburg für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs verantwortlich gewesen sein sollten. „Dieses Plötzlich öffneten sich dem Seelentröster Clark wie von Zauberhand die Talkshows und es wendete sich die Mehrheitsmeinung der Historikerzunft.“ (Klappentext)


Dieses Buch setzt sich mit den Thesen Clarks auseinander. Im Vorwort formulieren die Autoren ihre Zielrichtung so:

Die Aufgabe, der wir uns mit diesem Buch stellen, ist es, «gute Zitate» und gute Argumente zusammenzutragen, die die Hauptthese von Mr. Clark widerlegen, die europäischen Mächte seien in den Ersten Weltkrieg irgendwie hineingeschlittert, eine besondere Verantwortung des deutschen Kaiserreichs — geschweige denn eines deutschen Imperialismus‘ — für den «Großen Krieg» sei somit nicht zu erkennen. Denn immerhin steht das Buch «Die Schlafwandler», das allein im deutschsprachigen Raum mehr als 200.000-mal verkauft wurde, in Deutschland und Österreich für eine zweite, nunmehr restaurative Zeitenwende in der historischen Aufarbeitung des Ersten Weltkriegs. Ein halbes Jahrhundert lang, im Zeitraum 1914 bis Anfang der 1960er Jahre, war — insbesondere in Deutschland bzw. in Westdeutschland — die These vom «Hineinschlittern» in den Ersten Weltkrieg vorherrschend. Genauso hatten dies die selbsternannten Eliten in Berlin und Wien jahrzehntelang dargestellt. Und sie waren hocherfreut, als Vergleichbares — wie im Fall Clark ebenfalls von scheinbar neutraler Warte aus — von dem vormaligen britischen Kriegspremier David Lloyd George in seiner 1933 veröffentlichten Biographie formuliert wurde: «Die Nationen schlitterten über den Rand in den brodelnden Hexenkessel des Krieges.» Wobei diejenigen, die dieses Zitat anführen, in der Regel unterschlagen, dass Lloyd George 1919 den Versailler Vertrag — der in Artikel 231 Deutschland durch seinen Angriff «als Urheber für alle Verluste und Schäden» des Ersten Weltkrieges verantwortlich sah — mit ausarbeitete, und unterzeichnete. (S. 7) … Wie konnte es dann zu der neuen Wende kommen? Gab es eine neue Interpretation bestehender Dokumente und Aussagen? Fehlanzeige — Clark versucht erst gar nichts dergleichen. Er ignoriert vielmehr Fakten und frisiert Dokumente.“

. (S. 7 f). Die Inhaltsübersicht gibt einen Überblick zur Argumentation, die in diesem Buch aufgebaut wird.



Inhaltsübersicht:


Vorwort ............................................................................. 7

Winfried Wolf

Seelentröster Oder: Imperialismus und Erster Weltkrieg

als Warnung vor kommenden Kriegen ....................................... 9

I Kriege sind menschengemacht ..............................................9

II Sarajewo als Vorwand für den Großen Krieg ........................... 12

III Die Ursache des Ersten Weltkriegs: Imperialismus ................... 14

IV Die kapitalistische Rüstungsindustrie als Treiber .................... 21

V Die Leugnung der Kriegsverbrechen und ihre Folgen für heute .... 27

VI Zwei Ultimaten an Belgrad — drei Kriege gegen Serbien ........... 36

VII Hundert Jahre deutsche Europa-Konzeption ......................... 42

VIII Nicht Persönlichkeiten - Menschen machen Geschichte ........... 44

IX Die Clark-Debatte als eine Debatte über kommende Kriege ....... 46

Klaus Gietinger


Seelentröster Oder: Kein Griff nach der Weltmacht?

1. 1914 — Das Augusterlebnis der Belgier und Serben ..................51

Belgien — Krieg der Illusionen .............................................. 52

Serbien muss sterbien ....................................................... 58

Christopher Clark bewahrt uns vor Massakern ........................... 62

2. 1897 — Made in Germany:

Weltpolitik — Weltmacht — Weltherrschaft.............................66

Die Haager Friedenskonferenzen ........................................... 67

Der «Platz an der Sonne» .................................................... 70

Zusammenfassung I ........................................................... 79

Deutsche Gespenster und Clarks australischer Aberglauben .......... 81

1904/05 ........................................................................ 92

Die erste Marokkokrise ...................................................... 93

Die Annexionskrise ........................................................... 95

Zusammenfassung II .......................................................... 99

Verstörende Interviews .....................................................100

Die zweite Marokkokrise ...................................................103

Zusammenfassung III ........................................................107

Die Balkankriege 1912/13 ..................................................108

Deutsche Hilfe für den «kranken Mann am Bosporus» .................120

Zusammenfassung IV.........................................................127


3. Strategien deutscher Denker und deutschen Kapitals ............. 129


4. 1900 — Militär — Preußen ............................................... 140

Genesis Preußens ............................................................145

Kadetten ......................................................................146

Soldatenmisshandlungen ...................................................149

Im Zentrum des Staates ....................................................152

Zwei Militarismen statt einem ............................................153

Militarismus Plus: Todsünde Schlieffenplan (I) .........................155

Militarismus als Euro-Brei ..................................................156

Todsünde Schlieffenplan (II)................................................159

Zusammenfassung V .........................................................161


5. 1907 — Die SPD und der Krieg ........................................... 162


6. 1912 — «Schurkenstaat» Serbien und der Balkan als Zünder ..... 172


Zusammenfassung VI ........................................................187


7. Die Julikrise 1914 — Clarks Verzerrungen der deutschösterreichischen


Aggressionspolitik .................................... 188

Der beabsichtigte Krieg gegen Serbien ...................................193

Das Ultimatum ...............................................................210

Die sieben Vermittlungsvorschläge des Edward Grey... ..............221

Russland..................................................................240

Die SPD und die Julikrise ...................................................256

Zusammenfassung VII .......................................................262


8. Das Wie und Warum der Clark’schen Methodik ...................... 266

Zusammenfassung VIII .......................................................282

Verantwortung ...............................................................283


9. Weltkrieg .................................................................... 285


10. Schluss...................................................................... 298


Anhang .......................................................................... 303

Die wichtigsten handelnden Personen....................................

303

Chronik der wesentlichen Ereignisse .....................................306

Kurze Zusammenfassung von Clarks «Die Schlafwandler» ............320

Nachwort ......................................................................327

Literatur ......................................................................332

Register .......................................................................339



Textprobe: http://www.schmetterling-verlag.de/download.php?id=3-89657-476-0&mode=3





Einordnung für die Bildungsarbeit



Globales Lernen kommt an den Fragen nach Voraussetzungen, Bedingungen und Folgen von Entwicklungen zu Kriegen nicht vorbei. Wenn auch der Geschichts-unterricht die historische Perspektive besonders im Blick hat, geht es hier nicht nur um historische Entwicklungen und Zusammenhänge, sondern besonders auch darum, wie die „Entwicklungen“ die heutige Verhältnisse prägen. Die politische Bildung wird sich diesen Fragen nicht entziehen (wollen und können), sie braucht den Blick auf die Geschichte und auch den Blick auf die Interpretationen geschichtlicher „Ereignisse“,weil sich gerade darin sehr oft gegenwärtige Interessen spiegeln. Die Autoren des Buches formulieren einen Hinweis, der die Aktualität der Frage nach der Schuld am Ersten Weltkrieg deutlich macht: „Neu sind vielmehr die Zeiten. Wir befinden uns in einem neuen weltweiten Rüstungswettlauf. Kriege werden wieder als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln begriffen. Dabei gab es 1999 ausgerechnet in einem Krieg gegen Belgrad einen entscheidenden Tabubruch. Und es ist kein Zufall, wenn der große Seelentröster Clark nicht nur dieDeutschen von der Schuld am Ersten Weltkrieg erlöst. Er dämonisiert zugleich «die Serben» und stigmatisiert diese als Hauptverantwortliche für den Großen Krieg“ (S. 8).




Martin Geisz, April 2017



1Kurze Zusammenfassung von Clarks «Die Schlafwandler» gibt es im Buch ab Seite 320