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Materialien „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ - Globales Lernen
Buchhinweis
Stichworte: Erster Weltkrieg, Diskussion um Kriegsschuldfrage, Globalisierung, Krieg und Frieden
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Bibliographische Angaben: |
Gietinger,
Klaus / Wolf, Winfried: |
Zum Buch:
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Wer war schuld am I. Weltkrieg? Diese Kriegsschuldfrage haben Historiker immer sehr interessegeleitet beantwortet. Die These vom „Hineinschlittern“ war beliebt – die Verhältnisse waren so, dass der Krieg eben ausbrechen musste, die Bündnisverpflichtungen, die Staaten gegenseitig übernommen hatten führten dann automatisch in den Krieg. … . Anfang der 1960er Jahre arbeitet der Historiker Fritz Fischer dann an Quellen heraus,, dass «die deutsche Reichsführung einen erheblichen Teil der historischen Verantwortung für den Ausbruch des allgemeinen Krieges» trug. Dies wurde von der Geschichtswissenschaft weitgehend akzeptiert. Einen
neuen Akzent „zurück zur alten These, die Kriegsschuld
verneint“ setzte Christopher Clark mit seinem Buch „die
Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“ (
London 2012, München 2013)1.
Er wärmte die alte These auf und sprach von
„Schlafwandlern“, die 1914 in Berlin, Wien, Paris,
London und St. Petersburg für den Ausbruch des Ersten
Weltkriegs verantwortlich gewesen sein sollten. „Dieses
Plötzlich öffneten sich dem Seelentröster Clark
wie von Zauberhand die Talkshows und es wendete sich die
Mehrheitsmeinung der Historikerzunft.“ (Klappentext) Dieses Buch setzt sich mit den Thesen Clarks auseinander. Im Vorwort formulieren die Autoren ihre Zielrichtung so: „ Die Aufgabe, der wir uns mit diesem Buch stellen, ist es, «gute Zitate» und gute Argumente zusammenzutragen, die die Hauptthese von Mr. Clark widerlegen, die europäischen Mächte seien in den Ersten Weltkrieg irgendwie hineingeschlittert, eine besondere Verantwortung des deutschen Kaiserreichs — geschweige denn eines deutschen Imperialismus‘ — für den «Großen Krieg» sei somit nicht zu erkennen. Denn immerhin steht das Buch «Die Schlafwandler», das allein im deutschsprachigen Raum mehr als 200.000-mal verkauft wurde, in Deutschland und Österreich für eine zweite, nunmehr restaurative Zeitenwende in der historischen Aufarbeitung des Ersten Weltkriegs. Ein halbes Jahrhundert lang, im Zeitraum 1914 bis Anfang der 1960er Jahre, war — insbesondere in Deutschland bzw. in Westdeutschland — die These vom «Hineinschlittern» in den Ersten Weltkrieg vorherrschend. Genauso hatten dies die selbsternannten Eliten in Berlin und Wien jahrzehntelang dargestellt. Und sie waren hocherfreut, als Vergleichbares — wie im Fall Clark ebenfalls von scheinbar neutraler Warte aus — von dem vormaligen britischen Kriegspremier David Lloyd George in seiner 1933 veröffentlichten Biographie formuliert wurde: «Die Nationen schlitterten über den Rand in den brodelnden Hexenkessel des Krieges.» Wobei diejenigen, die dieses Zitat anführen, in der Regel unterschlagen, dass Lloyd George 1919 den Versailler Vertrag — der in Artikel 231 Deutschland durch seinen Angriff «als Urheber für alle Verluste und Schäden» des Ersten Weltkrieges verantwortlich sah — mit ausarbeitete, und unterzeichnete. (S. 7) … Wie konnte es dann zu der neuen Wende kommen? Gab es eine neue Interpretation bestehender Dokumente und Aussagen? Fehlanzeige — Clark versucht erst gar nichts dergleichen. Er ignoriert vielmehr Fakten und frisiert Dokumente.“ . (S. 7 f). Die Inhaltsübersicht gibt einen Überblick zur Argumentation, die in diesem Buch aufgebaut wird.
Inhaltsübersicht:
Vorwort ............................................................................. 7 Winfried Wolf Seelentröster Oder: Imperialismus und Erster Weltkrieg als Warnung vor kommenden Kriegen ....................................... 9 I Kriege sind menschengemacht ..............................................9 II Sarajewo als Vorwand für den Großen Krieg ........................... 12 III Die Ursache des Ersten Weltkriegs: Imperialismus ................... 14 IV Die kapitalistische Rüstungsindustrie als Treiber .................... 21 V Die Leugnung der Kriegsverbrechen und ihre Folgen für heute .... 27 VI Zwei Ultimaten an Belgrad — drei Kriege gegen Serbien ........... 36 VII Hundert Jahre deutsche Europa-Konzeption ......................... 42 VIII Nicht Persönlichkeiten - Menschen machen Geschichte ........... 44 IX Die Clark-Debatte als eine Debatte über kommende Kriege ....... 46 Klaus Gietinger
Seelentröster Oder: Kein Griff nach der Weltmacht? 1. 1914 — Das Augusterlebnis der Belgier und Serben ..................51 Belgien — Krieg der Illusionen .............................................. 52 Serbien muss sterbien ....................................................... 58 Christopher Clark bewahrt uns vor Massakern ........................... 62 2. 1897 — Made in Germany: Weltpolitik — Weltmacht — Weltherrschaft.............................66 Die Haager Friedenskonferenzen ........................................... 67 Der «Platz an der Sonne» .................................................... 70 Zusammenfassung I ........................................................... 79 Deutsche Gespenster und Clarks australischer Aberglauben .......... 81 1904/05 ........................................................................ 92 Die erste Marokkokrise ...................................................... 93 Die Annexionskrise ........................................................... 95 Zusammenfassung II .......................................................... 99 Verstörende Interviews .....................................................100 Die zweite Marokkokrise ...................................................103 Zusammenfassung III ........................................................107 Die Balkankriege 1912/13 ..................................................108 Deutsche Hilfe für den «kranken Mann am Bosporus» .................120 Zusammenfassung IV.........................................................127
3. Strategien deutscher Denker und deutschen Kapitals ............. 129
4. 1900 — Militär — Preußen ............................................... 140 Genesis Preußens ............................................................145 Kadetten ......................................................................146 Soldatenmisshandlungen ...................................................149 Im Zentrum des Staates ....................................................152 Zwei Militarismen statt einem ............................................153 Militarismus Plus: Todsünde Schlieffenplan (I) .........................155 Militarismus als Euro-Brei ..................................................156 Todsünde Schlieffenplan (II)................................................159 Zusammenfassung V .........................................................161
5. 1907 — Die SPD und der Krieg ........................................... 162
6. 1912 — «Schurkenstaat» Serbien und der Balkan als Zünder ..... 172
Zusammenfassung VI ........................................................187
7. Die Julikrise 1914 — Clarks Verzerrungen der deutschösterreichischen
Aggressionspolitik .................................... 188 Der beabsichtigte Krieg gegen Serbien ...................................193 Das Ultimatum ...............................................................210 Die sieben Vermittlungsvorschläge des Edward Grey... ..............221 Russland..................................................................240 Die SPD und die Julikrise ...................................................256 Zusammenfassung VII .......................................................262
8. Das Wie und Warum der Clark’schen Methodik ...................... 266 Zusammenfassung VIII .......................................................282 Verantwortung ...............................................................283
9. Weltkrieg .................................................................... 285
10. Schluss...................................................................... 298
Anhang .......................................................................... 303 Die wichtigsten handelnden Personen.................................... 303 Chronik der wesentlichen Ereignisse .....................................306 Kurze Zusammenfassung von Clarks «Die Schlafwandler» ............320 Nachwort ......................................................................327 Literatur ......................................................................332 Register .......................................................................339
Textprobe: http://www.schmetterling-verlag.de/download.php?id=3-89657-476-0&mode=3 |
Einordnung für die Bildungsarbeit |
Globales Lernen kommt an den Fragen nach Voraussetzungen, Bedingungen und Folgen von Entwicklungen zu Kriegen nicht vorbei. Wenn auch der Geschichts-unterricht die historische Perspektive besonders im Blick hat, geht es hier nicht nur um historische Entwicklungen und Zusammenhänge, sondern besonders auch darum, wie die „Entwicklungen“ die heutige Verhältnisse prägen. Die politische Bildung wird sich diesen Fragen nicht entziehen (wollen und können), sie braucht den Blick auf die Geschichte und auch den Blick auf die Interpretationen geschichtlicher „Ereignisse“,weil sich gerade darin sehr oft gegenwärtige Interessen spiegeln. Die Autoren des Buches formulieren einen Hinweis, der die Aktualität der Frage nach der Schuld am Ersten Weltkrieg deutlich macht: „Neu sind vielmehr die Zeiten. Wir befinden uns in einem neuen weltweiten Rüstungswettlauf. Kriege werden wieder als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln begriffen. Dabei gab es 1999 ausgerechnet in einem Krieg gegen Belgrad einen entscheidenden Tabubruch. Und es ist kein Zufall, wenn der große Seelentröster Clark nicht nur dieDeutschen von der Schuld am Ersten Weltkrieg erlöst. Er dämonisiert zugleich «die Serben» und stigmatisiert diese als Hauptverantwortliche für den Großen Krieg“ (S. 8).
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Martin Geisz, April 2017
1Kurze Zusammenfassung von Clarks «Die Schlafwandler» gibt es im Buch ab Seite 320