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Buchhinweis


Stichworte: Reformationszeit, Martin Luther, Perspektivenwechsel, Globalisierung







Bibliographische Angaben:

Reinhardt, Volker: Luther, der Ketzer. Rom und die Reformation. Verlag C.H.Beck. München 2016. ISBN 978-3-406-68828-7









Zum Buch:












Kultivierte Italiener“ auf der einen Seite. „barbarische Deutsche“ auf der anderen Seite, dazu Interessen an politischen Veränderungen bei vielen Fürsten in Deutschland . In dieser Konstellation sieht der Autor dieses Buches „die tieferen, bis heute Nachwirkenden Ursachen der Reformation“ . Als Professor für die Geschichte der Neuzeit und ausgewiesener Experte für das Papsttum in der „Reformationszeit“ greift er dazu auf Quellen zurück, die in den bisherigen Darstellungen für ihn nicht genügend Beachtung gefunden haben.1 Dieses Sicht steht gegen die – nicht nur in theologische Fachkreisen – verbreitete Sicht, die als Triebfeder der Kirchenspaltung die theologischen Unterschiede und natürlich auch Luthers Kritik an den Amtsträgern, besonders dem Papst (Originalzitat: „des Teufels Sau, der Bapst“), sieht. Er selbst formuliert in der Einleitung: „Dieses Buch will das Wirken Luthers und den dadurch ausgelösten Prozess der Glaubensspaltung gleichberechtigt und simultan von beiden Seiten aus nachvollziehen. «Gleichberechtigt» ist die hier angelegte Perspektive, weil sie die Argumente, Wahrnehmungen, Werturteile und Weichenstellungen auf beiden Seiten einander gegenüberstellt, aber nicht gegeneinander aufrechnet. «Simultan» ist die Betrachtung insbesondere dann, wenn es Glücksfälle der Überlieferung erlauben, ein und dasselbe Ereignis von beiden Standpunkten aus zu betrachten, und das ist nicht nur im Wittenberg 1535, sondern erfreulich oft der Fall. So ist der aus lutherischer und deutsch-nationaler Sicht unbestrittene Höhepunkt der frühen Reformation, Luthers Erscheinen auf dem Reichstag zu Worms im April 1521, durch umfangreiche Quellen beider Seiten bestens dokumentiert ...Eine gleichberechtigte «Simultanerzählung» ist eine Absage an die Geschichte Luthers als Triumph oder Verrat. Im Gegensatz dazu soll hier die Geschichte Luthers und der Glaubensspaltung als Interaktion zwischen den Polen Wittenberg und Rom, Deutschland und Italien erfasst werden. Dieses Modell ist nicht als «Ehrenrettung» des Renaissancepapsttums zu verstehen, sondern als der Versuch, einen komplexen historischen Prozess ganzheitlich nachzuvollziehen. Es heißt auch nicht, Luther am Zeug zu flicken und seine Bedeutung in Frage zu stellen, im Gegenteil: Die historische Dimension seines Wirkens tritt erst angemessen hervor, wenn auch die Ressourcen der Gegenseite adäquat gewürdigt werden.“ (s. 15 f)


Das Inhaltsverzeichnis spiegelt die Arbeitsschwerpunkte.


Inhalt


Einleitung

Rom und die Reformation 9


1. Luther, der Mönch (1483–1517)


Mythen und Kindheitsmuster 17

Bildungsweg und Klosterleben 25

Rom und das Renaissancepapsttum 30

Vernetzung und Heilsangst 34

Luthers Papst: Leo X. 40

Machtpolitik und Nepotismus 47

Das Problem der Kirchenreform 52

Das Problem Deutschland 56


2. Luther, der Kritiker (1517–1520)


Der Streit um den Ablass 63

Luthers 95 Thesen 70

Der Beginn der Kontroverse und Luthers Brief an Leo X. 75

Der Schlagabtausch mit Prierias 81

Der Beginn des römischen Prozesses 89

Das Verhör von Augsburg 96

Das lange Intermezzo von 1519 105

Die Leipziger Disputation 113

Die Bannandrohungsbulle 118

Das Bild des Ketzers 125


Der Reformator und die neue Kirche 128

Luthers Gegenspieler 136

Sodom und Gomorrha: die Absage an Leo X. 139


3. Luther, der Barbar (1521–1523)

Die Bannbulle und ihre Folgen 145

Aleandro, die Deutschen und andere Feinde 149

Das Tauziehen um den Wormser Reichstag 161

Luther auf dem Weg nach Worms: die Fakten 171

Luther in Worms: Aleandros Sicht 174

Luthers Auftritt in Worms: Luthers Sicht 182

Das Wormser Edikt und die Folgen 188

Machtwechsel in Rom 193

Bibelübersetzung und Neuordnung der Kirche 198

Das Schuldbekenntnis 202


4. Luther, der Vergessene (1523–1534)


Clemens VII. und die causa Luther 209

Römische Hochrisikopolitik 216

Bauernkrieg und Familiengründung 220

Römische Illusionen und Positionen 224

Katastrophe und Stillstand 228

Die Annäherung von Kaiser und Papst 236

Der Reichstag von Augsburg 1530 241

Polemische Nachbereitung: Luther und das Papsttum 1530 250

Widerstand als Christenpfl icht 255

Die lange Agonie 260

Auf verlorenem Posten 265


5. Luther, der Ketzer (1534 –1546)

Weichenstellungen im Reich und in Rom 273

Luther und die neue Kirchenordnung 279

Vergerios Begegnung mit Luther 282

Luthers Begegnung mit Vergerio 290

Luthers Monologe zum Papsttum 294

Diplomatie und Kirchenreform 302

Gasparo Contarini und die

spirituali

307

Das Religionsgespräch von Regensburg 1541 310

Im Vorfeld des Konzils 315

Luthers letzter Kampf 318



Epilog


Clash of Cultures 325


Anhang

Zeittafel 331

Anmerkungen 337

Literatur 343

Bildnachweis 348

Personenregister 349



Leseprobe: http://www.chbeck.de/fachbuch/zusatzinfos/Leseprobe_Luther-der-Ketzer.pdf





Einordnung für die Bildungsarbeit



Die Reformationszeit ist Thema in der Schule – im Geschichtsunterricht als Epochenschwerpunkt, im Religionsunterricht im Zusammenhang mit Kirchengeschichte und theologischen Kontroversen. Spätestens 2017 werden auch die Planungen zum 500 – Jahres-Jubiläum in vielen Schulen Thema sein.

Dieses Buch setzt Akzente, die in den gängigen Schulbücher und Unterrichtsmaterialien nicht zu finden sind:

- die vom Autor eingenommene Perspektive (vom ihm als „gleichberechtigt und simultan von beiden Seiten aus“ gekennzeichnet), mit der Folge dass vor allem eine viel breitere Sicht auf die Reformationszeit – durchaus auch mit neuen Bewertungen zum Vorschein kommt;

- eine Relativierung der Betonung der theologischen Konfliktpunkte in der Reformationszeit(die aus Sicht des Autors schon damals wenig verstanden wurden)- Einen neuen Blick auf die Zeit, der dazu aufruft nicht nur auf die eigene Sicht zu setzen – ein vielversprechender Ausgangspunkt auch für viele Bemühungen Globalen Lernens;

- ein neuer Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen, ihre Akteure und die Bedeutung von Ideen, Religionen und Ideologien, die auch einen neuen Blick auf gegenwärtige Konfliktherde initiieren könnte.

Das Buch bietet viele Ansatzpunkte für Diskussion und Auseinandersetzung (für Studierende, Lehrkräfte und fortgeschrittene Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II).




Martin Geisz, März 2016



1 Dazu der Autor in seiner Einleitung: „So hat sich die Korrespondenz Aleandros, des selbsternannten Luther -Bekämpfers der ersten Stunde, über weite Strecken erhalten, vor allem für die spektakulären Höhepunkte der immer dramatischeren Ereigniskette wie etwa den Reichstag von Worms im Frühjahr 1521. Diese Berichterstattung aber ist bis heute nicht ausgewertet, obwohl sie die römische Sichtweise, ihre Werte, Argumente, Urteile und Vorurteile, in einzigartiger Fülle und Tiefenschärfe widerspiegelt. Ein ähnlich deprimierendes Fazit ist für viele andere, scheinbar bekannte, doch in Wirklichkeit weitgehend unbeachtete Quellen zu ziehen, etwa die zahlreichen päpstlichen Schreiben und Bullen in der Luther-Sache. Auch sie sind als Fundgruben für die Einstellungen, Wahrnehmungsmuster, kulturellen Prägungen und Handlungsmotive der römischen Seite nie systematisch untersucht worden. Fast gänzlich ungehoben ist ein weiterer Quellenschatz. Er ist in den Berichten der römischen Nuntien und Legaten aus Deutschland an den Papst und in den Instruktionen verstreut, die diesen von römischer Seite erteilt wurden, und muss daher aus Tausenden und Abertausenden von diplomatischen Schreiben zusammengetragen werden“. (S.13)