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Buchhinweis



Stichworte: Reformation, Martin Luther, Geschichte der Neuzeit, Kirchen, Gesellschaften







Bibliographische Angaben:



Thomas Kaufmann: Geschichte der Reformation in Deutschland. Suhrkamp Verlag. Berlin 2016. ISBN: 978-3-518-42541-1





Zum Buch:












Es ging in der Reformation nicht darum, Kirche neu zu schaffen, oder zur Kirche Alternativen auszudenken – Religion (Kirche) gehörten zum Leben und standen eigentlich für niemand in Frage – so eine Grundposition dieses sehr umfangreichen Buches zur Geschichte der Reformation in Deutschland.

In der Einleitung nimmt Thomas Kaufmann die Zeit der Reformation in den Blick und hebt wesentliche Gesichtspunkte hervor. Einen eigenen Akzent widmet er der Bedeutung von Kirche in der „Reformationszeit“. er formuliert: Die selbstverständliche Allgegenwart von ›Kirche‹

Die Reformation und ihr Ringen mit der real-existierenden, ihr Kampf für die ›wahre‹, die ›evangeliumsgemäße‹ Kirche sind nur vor dem Hintergrund der unabweisbaren Allgegenwart der Kirche zu verstehen. Für jeden Europäer nichtjüdischen und nichtmuslimischen Glaubens war ›die Kirche‹ vor Luther, zu seiner Zeit und auch noch ein Jahrhundert nach ihm eine schlechterdings unausweichliche, unhintergehbare Wirklichkeit. Geändert hat sich durch die Reformation nicht der Anspruch der Kirche an die Menschen als solcher, sondern die Art und Weise, in der dieser Anspruch begegnete. Geändert hat sich allerlei an den sichtbaren Erscheinungsformen, am Autoritäts- und Institutionengefüge usw.; an der selbstverständlichen Gebundenheit jedes Menschen an eine der nun konkurrierenden und einander anathematisierenden, das heißt mit dem Bann belegenden Kirchen änderte sich nichts. Denn zur ›Kirche‹ gehörten vor wie nach der Reformation im Prinzip alle, außer den Juden, den Muslimen und den Exkommunizierten. Zur Kirche gehörte man ›von der Wiege bis zur Bahre‹; im Unterschied zu allen anderen soziokulturellen Bindungsund Organisationszusammenhängen, vielleicht außer den familiären, umspannte die Zugehörigkeit zur Kirche jedes vollständige menschliche Leben. Die Kirche war für die weit überwiegende Mehrzahl der Menschen vor und nach der Reformation eine nähere, konkretere, erfahrbarere Wirklichkeit als das politische Ordnungssystem – der Staat. Die Kirche war zugleich die umfassendste Kategorie, in der sich die Menschen vieler Zeiten und Weltengegenden in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenfassen und aufeinander beziehen ließen. Die Kirche war nah und fern, umfassend und lokal, hatte mühelos zu besuchende, mit Mühen erreichbare, auch praktisch unerreichbare Orte und Räume, Zentren und Epizentren.

Die Kirche war die einzige Ordnungsgröße des Zeitalters, die wirklich bei den Menschen aller Stände, Orte und Lebensalter war. Weil Kirche vor und nach der Reformation nie nur – und wohl für die meisten Europäer nicht einmal primär –›Rom‹ war, konnte man über den Papst und seine Kurtisanen herziehen und sie als Teufelsbrut desavouieren, ohne an der Kirche als derjenigen Sozialform der Religion, zu der potentiell alle gehörten, irre zu werden. (S.14 f).

Von dieser Grundannahme aus betrachtet er die Reformation und ihre (Wirkungs)Geschichte bis heute. Er kommt zu einem Ergebnis, das derKlappentext so formuliert. „Die traditionelle, protestantisch geprägte Geschichtsauffassung sah in der »Tat Luthers« eine Befreiung von den »dunklen Mächten« der Papstkirche und ein »Ende des Mittelalters«. Doch weder war das Spätmittelalter »finster« noch Luther eine Lichtgestalt. Sein kirchlicher Reformimpuls steht im Kontext vielfältiger Umbrüche, die um 1500 im politischen, ökonomischen und kulturellen Leben einsetzten. Dass die Reformation viele Menschen mitriss und zuletzt in ein eigenes Kirchenwesen mündete, war nur möglich, weil verschiedene Akteure (Landesfürsten, städtische Magistrate, Bürger und Bauern) etwas mit ihr »anfangen« konnten. Dabei spielten auch die neuen Massenmedien der Zeit (Flugschriften, Predigten) eine große Rolle.“ (Klappentext)

Die Schwerpunkte der Darstellung find Sie im Inhaltsverzeichnis (siehe unten)

In dieser aktualiserten Neuausgabe des Buches (zuerst 2009 im Verlag der Weltreligionen unter dem Titel „Geschichte der Reformation“erschienen) wurde im Blick auf das Jubiläumsjahr 2017 in Epilog hinzugefügt: „Martin Luther und die Reformation in Deutschland – in der Erinnerungskultur und in der historischen Forschung“. Hier werden die Reformationsjubiläen der Vergangenheit in den Blick genommen und

Das erschienene Buch wurde für die Neuausgabe durchgesehen, aktualisiert und um einen Epilog erweitert, der unter anderem auf die Geschichte der Reformationsjubiläen zurück- und auf das Lutherjahr 2017 vorausblickt und abschließend noch einmal die ganz unterschiedlichen Blickmöglichkeiten auf Martin Luther anspricht: „Die schillernde Vielfalt, die sich in den Lutherbildern1 spiegelt, ist schwerlich in ein einheitliches Bild aufzulösen. Die bietet aber die Möglichkeit pluraler Lesarten des Reformators, die freilich nie den ganzen Luther wieder gewinnen, aber doch je spezifische Aspekte seiner Eigenart akzentuieren werden.“ (S. 774)

INHALT

Einleitung: Die Reformation und die Liebe zur Kirche . . . 11

Teil I: Die Voraussetzungen der Reformation . . . . . . . . 33

Teil II: Die Reformation im Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

Teil III: Die Unwiderruflichkeit der Reformation . . . . . 609

Resümee: Die Reformation und das lateineuropäische

Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711

Epilog: Martin Luther und die Reformation in Deutschland – in der Erinnerungskultur und in der

historischen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 777

Ausgewählte Biogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 866

Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 899

Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 907

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 913

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 916

Zu den Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 979

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 985

Inhaltsverzeichnis . . . .............................. 1029



Leseprobe: http://www.suhrkamp.de/download/Blickinsbuch/9783518425411.pdf






Einordnung für die Bildungsarbeit



Wenn auch „ rein formal“ in den Lehrplänen „Reformation“ und „Reformationszeit“ ihren Platz haben, so beschränkt sich die Beschäftigung mit dieser Zeit auf wenige Unterrichtsstunden und thematisiert nach wie vor (auch in den meisten Schulbüchern) eher Ereignisse rund um Luthers Wirken und ein einfaches Bild vom Zustand der Kirche in dieser Zeit. Ein differenzierter Blick in die Zeitverhältnisse und Zusammenhänge kommt meist zu kurz.

Dieses umfangreiche Buch bietet sehr differenzierende Zugänge – nicht nur aus dem Blickwinkel der Kirchengeschichte, sondern auch aus dem Blickwinkel des kritischen Historikers.

Literaturverzeichnis, ausgewählte Biogramme und ausführliche Zeittafel ermöglichen viele weitere Zugänge zum Thema. Das neue letzte Kapitel (Epilog) bietet darüber hinaus viele Ansätze zu auch kontrovers zu führenden Diskussionen und Gesprächen rund um das (sicherlich auch in der Schule) „unvermeidbare“ Jubiläumsjahr 2017. Ich empfehle das Buch zur Anschaffung in der Schulbibliothek.



Martin Geisz, Oktober 2016



1Einige Stichworte zu den Facetten des Lutherbildesaus dem EpilogS. 724: … auch in seiner Exegese zutiefst problematischer Judenfeind … -unanfechtbar zivilisierter Lehrer der christlichen Religion …. bewunderter Übersetzer … Verräter an den Bauern …genialer Publizist … widerwärtiger Polemiker … Fürstenknecht … Rebell … couragierter Bekenner von Worms … biederer Hausvater … liebevoller Ehemann … 'katholischer' Luther … unbeirrrbarer Papstfeind ...