Materialien „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ - Globales Lernen und Philosophie lernen

Buchhinweis


Stichworte: Pädagogik, Reformpädagogik, Gerold Becker, Hartmut von Hentig, Globales Lernen,







Bibliographische Angaben:



Jürgen Oelkers: Pädagogik, Elite, Missbrauch- Die »Karriere« des Gerold Becker. Beltz Juventa. Weinheim und Basel 2016. 608 Seiten. ISBN:978-3-7799-3345-8






Zum Buch:












Die Odenwaldschule in Südhessen ist inzwischen Geschichte. Sie hat aufgehört zu existieren. In den letzten Jahren allerdings stan die Privatschule – von vielen prominenten Bundesbürgern als Schule für ihre Kinder ausgewählt – im Mittelpunkt eines Skandals, dessen wesentlicher Auslöser und Akteur der Schulleiter Gerold Becker war: Nachdem er die Odenwaldschule verlassen hatte, hat er als Pädagoge die Diskussion um Schulentwicklung in Deutschland mitgeprägt auch mit mit maßgeblichen Einflüssen auf die Bildungspolitik (hier besonders in Hessen, wo er am Institut für Schulentwicklung gearbeitet hat). Beteiligt war er auch an pädagogischen Ausgestaltung der Reformpädagogik und der „Landschulheime“.

Dieses Buch macht sich Gerold Becker zum Thema. Der Autor (Professor Emeritus für Allgemeine Pädagopgik an der Universität Zürich) formuliert seinen Fragehorizont: „Wie konnte GeroldBecker in der deutschen Pädagogik Karriere machen? Genauer: Wie konnte ein Päderast und notorischer Kinderschänder bekannt werden, mehr als vierzig Jahre beruflichen Erfolg haben und bis in das Innerste der Profession gelangen, ohne Verdacht zu erregen und aufzufallen? Es gibt auf diese Fragen keine einfachen Antworten, wohl aber Befunde, die auch die Verfassung der Pädagogik betreffen und mit ihrem Glauben an wohl klingende Konzepte sowie ihrem Impetus zu tun haben, sich ständig moralisch überlegen präsentieren zu müssen.“ (S. 2)

In 9 Kapiteln verfolgt das Buch den Lebensweg Gerold Beckers (die Schwerpunkte spiegelt Inhaltsverzeichnis – siehe unten).Das Thema „Pädokriminalität“ als „Begleiter“ der Karriere Gerold Beckers, aber auch zum Thema mit Blick auf die Odenwaldschule, die letztlich Pädokriminelle gewähren ließ. „Heute weiss man, warum Gerold Becker nicht auffallen wollte; aber es ist nicht klar, wie er ein Doppelleben führen konnte, ohne je Anstoss zu erregen und entdeckt zu werden. Er vertrat mit der Pädagogik „vom Kinde aus“ höchste moralische Ansprüche und genau das hat ihn über die Jahre geschützt, weil angesichts der Moral und im Lichte der hochgelobten Praxis niemand genauer hinsah und nachfragte. Und wenn doch ein Verdacht aufkam, hat sich Gerold Becker immer rechtzeitig entziehen können, ohne dass seine Karriere dadurch gefährdet gewesen wäre. Er verfügte stets über ein hilfreiches Netzwerk, das ihn notfalls aufgefangen hat und auf das er sich also verlassen konnte. Becker kannte nahezu das gesamte Personal der neuen Reformpädagogik, die sich seit den siebziger Jahren zwischen der Gesamtschulbewegung, den Freien Schulen sowie der evangelischen Kirche aufgebaut hat, und er schaffte es, den Ideen der „Landerziehungsheime“ in diesen Kreisen Respekt zu verschaffen. Das Konzept der alternativen Schule als Erfahrungsraum und „Erziehungsgemeinschaft“ verband sich mit einer Person, die hinter einer gut aufgebauten Fassade verschwinden konnte“( S.15).



Inhalt



Vorwort



Kapitel 1 Einleitung



Kapitel 2 Der unbekannte Gerold Becker



Kapitel 3 DieGeburt des Pädagogen



Kapitel 4 Lehrer und Schulleiter



Kapitel 5 Der rätselhafte Abgang



Kapitel 6 Eine Gruppe von „Pädokriminellen“



Kapitel 7 Opferbiografien



Kapitel 8 Eine zweite und eine dritte Karriere



Kapitel 9 Das Ende



Quellen und Literatur






Einordnung für die Bildungsarbeit



Reformpädagogik, neue Perspektiven, „Öffnung von Schule“, Stärkung der Schülerpersönlichkeit – vor allem dadurch, das Schülerinnen und Schüler Subjekt und nicht Objekt von Lernen sind oder werden sollen - sind und waren immer Orientierungspunkte im Feld Globalen Lernens. Natürlich gab und gibt es den Blick auf Modellschulen – in meinem Bundesland (Hessen) z.B. auch schon lange die Odenwaldschule in Südhessen (und natürlich auch auf deren Repräsentanten (u. a. natürlich auch deren langjähriger Schulleiter Gerold Becker, der dann später im HIBS, dem Hessischen Institut, das für Schulentwicklung arbeitete abgestellt war). Die in diesem Buch vorgelegte Biografie Gerold Beckers – die auch einen kritischen Seitenblick auf die uns Lehrern als Modell auch in Lehrplänen vorgestellte und nahegelegte Reformpädagogik und die Personen Hartmut von Hentig und Hellmut Becker enthält - , macht nachdenklich, nicht nur, was Pädokriminalität betrifft. (Dies ist inzwischen ja durchaus im Blick auf die Zeit nicht nur als Versagen Einzelner, sondern durchaus auch in der Verleugnung der Kinder und Jugendliche missachtenden Aspekte – z.B. auch in früheren Diskussionen bei den Grünen erkannt.) Die gern verwendete Formel vom „pädagogischen Eros“ als Antrieb der Bemühung um Kinder und Jugendliche wird entleert und pervertiert: „Der 'pädagogische Eros' ist nichts als eine Herrschaftsformel gewesen, gegen die sich die Kinder nicht wehren konnten. Die Menschen 'stärken' kann man damit nicht und zur 'Klärung' der Sache der Erziehung' ist mit der Ideologie der Erziehungsgemeinschaft ebenfalls nichts gewonnen. Die 'Polis' war auch ein Erfahrungsraum für Sexualtäter und die „Schule neu denken“ erwies sich als pathetisches Konstrukt ohne wirklichen Praxiswert. Dafür wurde der Täter geschützt, solange bis es nicht mehr ging und eigentlich dann immer noch“ (S. 579).

Das Buch bietet viel Anlass zum Nachdenken und Diskutieren über anscheinend sichere pädagogische „Selbstverständlichkeiten“, deren Theorie und Praxis sich aufzulösen scheinen – oder … ?

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Martin Geisz, Mai 2016