Materialien „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ - Globales Lernen und Philosophie-Lernen


Buchhinweis


Stichworte: Weltreligionen, Monotheismus, Existenzfragen, Mythen









Bibliographische Angaben:


Assmann, Jan: Exodus. Die Revolution der Alten Welt.

2015. 493 S.: mit 40 Abbildungen.C.H.Beck Verlag.München 2015. ISBN 978-3-406-67430-3




Zum Buch:










Jan Assmann (Altägyptologe) hat vor 17 Jahren mit seinem Buch „Moses the Egyptian“ und seinen Thesen zur Bedeutung des Monotheismus und der „mosaischen Unterscheidung“ viele Diskussionen ausgelöst. Vor allem der Zusammenhang „Monotheismus – Gewalt“ wurde und wird intensiv diskutiert.

In diesem Buch stellt er den Exodus und die Exodustraditionen der Bibel in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. „Die Position, vor der aus ich es in diesem Buch unternehme, die so unendlich oft erzählte, kommentierte, gedeutete und gestaltete Exodus-Tradition in 'sinngeschichtlicher' Hinsicht zu behandeln, ist die teilnehmende Beobachtung.“1 Er verwendet den Begriff der resonanten Lektüre. „Worum es mir aber vor allem zu tun ist, ist eine „resonante Lektüre“, eine notwendigerweise reht subjektive Lektüre der biblischen Texte, in der möglichst viel von dem anklingt, was mir aus meinen ägyptologischen und allgemein kulturellen Interessen und geschichtlichen Erfahrungen vertraut geworden ist.“2

J. Assmann nimmt Bezug auf den von Jaspers für die Zeit geprägten Begriff „Achsenzeit“3. Ersetzt die „Exodus-Erzählungen“ der Bibel deutlich von den anderen Entwicklungen der „Achsenzeit“ ab: „Die Exodus-Erzählung mit ihrem «Monotheismus der Treue» ist aber ein Phänomen sui generis, das es in seiner Besonderheit zu würdigen gilt und das nicht vorschnell mit dem Kürzel «Achsenzeit» in eine globale Entwicklung eingeebnet werden darf. Unbestreitbar ist allerdings, dass diese Erzählung den Grund legt zu einer Wende, die in allen Punkten der Charakteristik der Achsenzeit entspricht. Diese Wende vollzieht sich mit der Ausdeutung des Gottesbundes zum «Reich Gottes» und des Auszugs aus Ägypten zum Auszug der Seele aus «dieser Welt», der civitas terrena, in den Gottesstaat. Erst damit ist jene Relativierung des Diesseits bzw. des Gegebenen im Licht absoluter, transzendenter Wahrheit erreicht, auf die sich der Begriff der Achsenzeit bezieht“4. Er formuliert zur grundlegenden Bedeutung der Exodusgeschichten: „Die Exodus-und-Sinai-Offenbarung ist das Modell aller späteren Offenbarungen, die Grundlegung einer neuen Religionsform, die auf den beiden Elementen der Offenbarung und des Bundes beruht und die daher «Offenbarungsreligion» genannt werden kann, im Unterschied zu den «natürlichen» Religionen, die ohne ein derartiges Gründungsereignis seit unvordenklichen Zeiten historisch gewachsen sind“5

Besonders hervorzuheben ist für ihn hier auch der Begriff «Monotheismus der Treue». Auch mit etwas distanzierendem Blick auf sein erstes Mosesbuch formuliert Assmann dass es in der Exodustradition nicht um die Frage nach „wahr“ oder „falsch“ geht (selbst andere Götter außer Jahwe sind denkbar), sondern um die „Treue“ zu Jahwe im Rahmen des mit dem Exodus geschlossenen Bundes. Die im biblischen Bericht vorhandenen Gewaltberichte (z.B. Tötung von dreitausend Juden nach der Verehrung des Goldenen Kalbes) stehen für Assmann nicht als Gewalt Jahwes nach außen, sondern als Durchsetzung des eingegangenen Treueverhältnisses (vgl. Das Goldene Kalb: die Ur-Sünde des Bundesbruchs,S. 360).

Die Fülle der thematischen Zugänge zum Exodus-Mythos verdeutlicht ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis.


INHALT



VORWORT

11

EINLEITUNG

19

ERSTER TEIL

ALLGEMEINE GRUNDLAGEN

ERSTES KAPITEL

THEMA UND AUFBAU DES BUCHES EXODUS

1. Erster Teil: Auszug (Kapitel 1–15) 29

Namensoffenbarung  32

 – Machtoffenbarung  35

2. Zweiter Teil: Sinai – Erwählung, Bund und Gesetz (Kapitel 15–24) 39

Der Gang zum Sinai  39

 – Bundesoffenbarung  42

3. Dritter Teil: Gottesnähe (Kapitel 25–40) 45

Offenbarung des Zeltheiligtums 45

 – Wesensoffenbarung: Bruch und Versöhnung 46 – Der Bau des Zeltheiligtums 47 –

Der Abschluss der Offenbarung: Gottes permanente Gegenwart  48



ZWEITES KAPITEL

DER HISTORISCHE HINTERGRUND –

EREIGNIS UND ERINNERUNG

1. Erinnerungen 56

Die Hyksos 56

 – Amarna  62

 – Habiru / ‘Apiru  66

 – Wanderungsbewegungen, Seevölker 68

 – Gottesstaat 70

2. Erfahrungen 71

Der Kristallisationspunkt: Eine wundersame Errettung aus höchster Gefahr  71

 – Die «Loslösung der Nordstämme»: die erste Stunde der Erinnerung?  73

  – Die Neugründung Israels: die große Stunde der Erinnerung 76


DRITTES KAPITEL

TEXTGESCHICHTE UND SINNGESCHICHTE

1. Fortschreibung als «Sinnpflege»: die Schichtung des biblischen Textes 79

2. Vom Mythos zum Kanon und zurück 101

3. Die «mosaischen Unterscheidungen» und der «Monotheismus der Treue» 106





ZWEITER TEIL

DER AUSZUG



VIERTES KAPITEL

DIE LEIDEN DER ISR AELITEN UND DIE GEBURT DES RETTERS

1. Die ägyptische Fron 123

2. Die Geburt des Kindes 138

3. Moses Kindheit und Erziehung 147



FÜNFTES KAPITEL

NAMENSOFFENBARUNG:

MOSE AM BRENNENDEN DORNBUSCH

1. Moses Berufung 151

2. Erhörung, Verheißung, Berufung 158

Exkurs I: Die Dornbusch-Szene in Schönbergs Oper Moses und Aron 163

3. Ich bin der ich bin 167



SECHSTES KAPITEL

ZEICHEN UND WUNDER –GOTTES MACHTOFFENBARUNG

1. Die ägyptischen Plagen 175

2. Die ägyptisch-hellenistische Überlieferung 193

3. Die Einsetzung des Pessach-Fests und die Pessach-Haggada 201

Exkurs II: Moses Dankgesang und Händels Oratorium Israel in Egypt 214




DRITTER TEIL

DER BUND

SIEBTES KAPITEL

DIE BERUFUNG DES VOLKES

1. Heiliges Volk und portatives Vaterland 223

2. Tora als Gedächtnis 235

3. Die Entwicklung der Bundesidee: Brautschaft und Sohnschaft als Bilder des Bundes 241



ACHTES KAPITEL

VERTRAG UND GESETZ

1. Die Dekonstruktion des Königtums: Vertrag und Gesetz als Verfassung des Gottesvolks 249

2. Die Zehn Gebote 256

3. Bundesbuch und Bundesschluss 271

Exkurs III: Die «Exkarnation» und Theologisierung des Rechts 286

Exkurs IV: Der Dekalog und die ägyptischen Normen des Totengerichts 291



NEUNTES KAPITEL

WIDERSTAND – MOSE UND DAS GEWALTSAME

GESCHICK DER PROPHETEN

1. Die Szenen des Murrens 305

2. Der Mord an Mose? 325

3. Das gewaltsame Geschick der Propheten 331





ZEHNTES KAPITEL

KULTSTIFTUNG – DIE INSTITUTION VON

GOTTESNÄHE

1. JHWHs Einwohnung inmitten seines Volkes 343

2. Das Goldene Kalb: die Ur-Sünde des Bundesbruchs 360

Exkurs V: Das Goldene Kalb in Schönbergs Oper Moses und Aron 376

3. Ein «Buch vom Tempel»? 382


SCHLUSS

1. Narrative, historische und performative Wahrheit 389

2. Offenbarung 392

3. Aus Ägypten 395

4. Exodus als politischer Mythos 397

5. Exodus und Monotheismus 399








Einordnung für die Bildungsarbeit



Existentielle Grundfragen gehören zum Philosophie - und Religionsunterricht, auch zum „Globalen Lernen“. Die Frage nach der Bedeutung des Monotheismus und seinen Auswirkungen auf gesellschaftliches (und persönliches) Leben steht oft genug im Mittelpunkt. Die Exodustradition, Thema dieses Buches ist Grundlage dreier großer Weltreligionen, jeweils mit einer eigenen „neuen Sicht“ auf die eigene Offenbarungstraditien. Für Studierende und Lehrkräfte ist dieses Buch ein gut nutzbares Angebot zur eigenen vertiefenden Arbeit, wichtig scheint mir, dass nicht die Sicht eines Theologen im Mittelpunkt steht, sondern dass hier die Perspektive der „Altägyptologie“ den Blick öffnet. Dem Unterricht (in fortgeschrittenen Kursen der Sekundarstufe II in den Fächern Philosophie, Ethik und Religion) wird dies auch im Sinne „Globalen Lernens“ mit seinen Aufforderungen zum Perspektivenwechsel wichtige Impulse geben.







Martin Geisz, April 2015


1S. 14

2S. 15

3Wenn von einer Wende menschheitsgeschichtlichen Umfangs die Rede ist, drängt sich der Begriff der «Achsenzeit» auf. Auf diesen Begriff hat der Philosoph Karl Jaspers Beobachtungen gebracht, die bis ins späte 18. Jahrhundert, auf den Iranisten Anquetil-Duper-ron, den Entdecker des Zend-Avesta, zurückgehen. Dieser hatte gesehen, dass sich dem Zoroastrismus vergleichbare Bewegungen in verschiedenen Teilen der Alten Welt, von China bis Griechen-land, ungefähr gleichzeitig abspielten und von einer «grande revolution du genre humain» gesprochen. Auch die biblische Wende zum Monotheismus wurde von Anfang an in diesen Zusammenhang gestellt und fällt ja in der Tat vom Auftreten der frühen Propheten im 8. Jahrhundert (Jesaja, Hosea, Amos, Micha) bis zum Abschluss der Tora im 4. / 3. Jahrhundert genau in das von Jaspers als «Achsenzeit» bezeichnete Zeitfenster 500 v. Chr. + / – 300 Jahre. Auf die kürzeste Formel gebracht, lässt sich die Achsenzeit als die Entdeckung der Transzendenz charakterisieren. Im Licht neuer, entweder durch Offenbarung oder methodisches Denken gefundener absoluter Wahrheiten unterziehen in dieser Zeit große Persönlichkeiten (Konfuzius, Lao-tse, Meng-tse, Buddha, Zarathustra, Jesaja usw., Parmenides, Xenophanes, Anaximander usw.) die traditionellen Institutionen und Konzepte einer radikalen Kritik. Die Wende, von der die Exodus-Erzählung handelt, wäre dann nur eines von vielen Symptomen einer globalen Entwicklung, in der die Menschheit als Ganzes, wie Jaspers sagt, einen Sprung macht. Ich halte Jaspers’ Achsenzeit-Theorie für einen der großen Wissenschaftsmythen des 20. Jahrhunderts, vergleichbar Freuds Lehre vom Ödipus-Komplex, die vieles sichtbar machen und große Zusammenhänge aufdecken, aber andererseits in ihrer Tendenz der vereinerleienden Kategorisierung viel zu weit gehen und wichtige Differenzierungen einebnen. Der Begriff der Achsenzeit bezieht sich auf Kulturen und Weltbilder, die zwischen Immanenz, dem Diesseitigen, Bedingten, Kontingenten, und Transzendenz, dem Absoluten, Unbedingten, unterscheiden und eine kritische Distanz zur Welt des Gegebenen entwickeln. Das ist jedoch weniger eine Frage der «Zeit» als des Vorhandenseins medialer Bedingungen, um geistige Durchbrüche fest- und späteren

Epochen zugänglich zu erhalten. (S.. 25 f)

4S.26

5S.24